furthermore...     Interkulturelles Lernen
     
 
 6. Möglichkeiten und Grenzen
  Interkulturelles Lernen ist am ehesten durch direkte Interaktion möglich. Simulation und Rollenspiel kann diese nicht ersetzten, sondern allenfalls ergänzen (vgl. Johann / Michely / Springer : 15). Zudem setzt interkulturelles Lernen ein lebenslanges Lernen voraus. Es ist also nicht möglich, trotz bestmöglicher Schulung die angehenden ErzieherInnen mit einer abgeschlossenen Fähigkeit in die Praxis zu entlassen. Was vermag der Deutschunterricht also tatsächlich mit literarischen Texten zu bewirken? Er bietet keine direkte Interaktion und ist auf einen kurzen Zeitraum begrenzt. Die durch den Stundenplan vorgegebene Zerstückelung des Unterrichts in einzelne Unterrichtssequenzen widerspricht länger andauernden und auf Selbstreflexion beruhenden Lernprozessen. Die Bildungsgänge E AHR und E FHR sind noch nach Fächern organisiert. Tatsächlich kann der Deutschunterricht nur für Augenblicke Perspektiven erweitern helfen. Eine Nachhaltigkeit lässt sich nicht überprüfen.
Interkulturelles Lernen muss weiter angestoßen werden. Johann / Michely / Springer schlagen vor, interkulturelles Lernen als didaktisches Prinzip zu verstehen (Johann / Michely / Springer 16f). Wenn interkulturelles Lernen als didaktisches Prinzip verstanden wird, so bedeutet dies, dass der Deutschunterricht seine gesamten Inhalte dahingehend überprüfen muss, ob sie auch unter interkulturellen Aspekten relevant sind. Der Lehrer soll sich fragen, wie diese Aspekte in den einzelnen Inhalten verdeutlicht werden können. Als Konsequenz von interkulturellem Lernen als didaktische Prinzip muss diese Überprüfung zudem auf alle Fächer ausgedehnt werden. Der Deutschlehrer muss sich also die Frage stellen, ob weitere Themen diese Perspektive zulassen. Für die Bildungsgänge E FHR und E AHR ist es möglich, in der Auseinandersetzung mit Kinder- und Jugendliteratur auch einen interkulturellen Blickwinkel einzunehmen. So kann die Frage erörtert werden, welche Kinder- oder Jugendliteratur sich zur Literacy Erziehung eignet, wenn die angehenden ErzieherInnen interkulturell arbeiten möchten. Ein weiteres gängiges Themengebiet ist Kinderlyrik. Hier kann den SchülerInnen auch die Perspektive auf internationale Kinderlyrik oder nationale Stereotype in Kinderlyrik aufgezeigt werden. Gleiches gilt auch für den Themenbereich Märchen. Grundsätzlich scheinen sich alle Themenfelder und Gebiete des Deutschunterrichts für ErzieherInnen - Allgemeine Hochschulreife oder Fachhochschulreife anzubieten. Wenn der Lehrer die Aufgabe wahrnimmt, die Inhalte und Themenfelder auf interkulturelle Sichtweisen zu untersuchen und kontinuierlich diese Perspektive eingenommen wird, so ist es auch für den auf 2 bis 3 Wochenstunden begrenzten Deutschunterricht möglich, interkulturelle Kompetenz bei den SchülerInnen anzuregen und sie zu Multiplikatoren dieser Kompetenz auszubilden. Es bietet sich an, eine Unterrichtssequenz mit dem Schwerpunkt Aspekte von Interkulturalität an den Anfang der schulischen Ausbildung zu setzen, damit Perspektivenerweiterung hinsichtlich interkultureller Aspekte eingeübt wird.
Die vorgestellten Möglichkeiten des produktions- und handlungsorientierten Literaturunterrichts bieten eine besondere Chance für die Entwicklung interkultureller Kompetenz. Das Standbild bietet einerseits die Möglichkeit, die Perspektiven der Personen (als Angehörige verschiedener Kulturen) zu visualisieren in Form von Mimik, Gestik und Haltung. Die SchülerInnen üben mittels dieser Methode ihre Wahrnehmungs- und nonverbale Ausdrucksfähigkeit, die Teil von interkulturellen Kontakt- und Lernsituationen sein sollen (vgl. Johann 7 Michely / Springer : 12). Andererseits kann die Wirkung der Positionen nachgespürt werden. Das Standbild bietet in Verbindung mit dem Text die Möglichkeit des Perspektivwechsels und der Empathie. Die szenische Fortführung des Textes von Schlink bietet den SchülerInnen die Möglichkeit zur Erprobung von Konfliktfähigkeit und Ausbildung der kommunikativen Kompetenz. Sie erleben, dass multikulturelle Konflikte nicht zwischen Kulturen, sondern zwischen Personen stattfinden. Sie entwickeln eigene Lösungsmöglichkeiten, oder zeigen auf, dass eine für beide Parteien befriedigende Lösung nicht möglich ist. So schulen Sie ihre Ambiguitätstoleranz. Die Auseinandersetzung mit Stereotypen ist ebenfalls wesentlich für interkulturelles Lernen. Durch die erzeugten Spannungen zwischen Außen- und Innenperspektive mittels Figurenbefragung erhalten die SchülerInnen einen analogen Zugang zur Problematik von Fremd- und Eigenwahrnehmung.
Eine Schwierigkeit hat der Versuch zur Umsetzung ausgewählter Texte mit produktions- und handlungsorientierter Vorgehensweise jedoch aufgedeckt. Der Anspruch, dass die Multikulturalität und mehrsprachige Bedingung der Klasse Berücksichtigung in produktions- und handlungsorientierten Verfahren finden, konnte nur teilweise erfüllt werden. Die Berücksichtigung fand in der Textauswahl statt. Die SchülerInnen hatten die Möglichkeit ihre eigenen (kulturellen) Erfahrungen in die Umsetzung einzubringen, doch wurde die Chance der Mehrsprachigkeit in der Umsetzung nicht genutzt. Es gilt also weiterhin zu überlegen, an welchen Stellen sich diese Chancen stärker nutzen lassen.
Die Anforderungen an den Beruf des Erziehers / der Erzieherin zeigen deutlich auf, dass eine interkulturelle Kompetenz grundlegend für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Eltern ist. Daher muss die Schule interkulturelles Lernen ermöglichen. Jedes Fach muss und kann hierfür einen Beitrag leisten. Der Literaturunterricht im Fach Deutsch bietet hier eigene Möglichkeiten. Zusammenfassend möchte ich schließen, dass produktions- und handlungsorientierte Verfahren bei der Textarbeit einen Beitrag zum interkulturellen Lernen leisten können, die andere Verfahren nicht bieten. Die Augenblicke, welche der Deutschunterricht bereithält, um interkulturelle Perspektiven einzunehmen, können mithilfe der anderen Fächer zur Entwicklung interkultureller Kompetenz führen.