furthermore...     Interkulturelles Lernen
     
 
 1. Problemstellung und Vorgehensweise
  In den Bildungsgängen Erzieherin / Erzieher - Allgemeine Hochschulreife und Erzieherin / Erzieher - Fachhochschulreife des Berufskollegs Opladen (BKO) stellte ich während meines ersten Ausbildungsjahres fest, dass ein wichtiger Aspekt der beruflichen und persönlichen Qualifikation der SchülerInnen kaum Raum für eine ausführliche Thematisierung erhielt. Pädagogische Probleme im Spannungsfeld interkultureller Konflikte wurden weder im Bereich Erziehungswissenschaft, noch im Fach Politik ausdrücklich behandelt. Das Fach Englisch überschritt nur sehr eingeschränkt die Grenzen der Landeskunde hin zu interkulturellem Lernen. Die Befragung der einzelnen Fachlehrer bestätigte diesen Eindruck.
Für angehende ErzieherInnen ist die Förderung interkultureller Kompetenz jedoch von doppelter Bedeutung. Erstens müssen sie in ihrer beruflichen Praxis nach der Ausbildung in der Lage sein, bei Konflikten, die auf kulturelle Missverständnisse zurückzuführen sind, diese zu erkennen und zu einem angemessenem Urteilen und Handeln befähigt sein. Diese Konflikte können sowohl in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, mit Eltern oder Behörden, als auch unter Kollegen aufkommen. Die SchülerInnen sollen die Kompetenz entwickeln, in ihrem späteren Berufsleben selbstständig, sachgerecht und methodengeleitet zu agieren und ihr Handeln zu reflektieren. Zweitens werden sie die Multiplikatoren für die Förderung von interkultureller Kompetenz bei den Kindern und Jugendlichen in naher Zukunft sein. Die berufliche Handlungskompetenz erfordert also ein interkulturelles Lernen. Gleichzeitig ist es die Aufgabe des Erziehungsprozesses in der Schule, interkulturelle Kompetenz als Teil der Human- und Sozialkompetenz zu fördern. Human- und Sozialkompetenz zeigt sich in der Fähigkeit, in gesellschaftlichen (und beruflichen) Situationen verantwortungsvoll handeln zu können. Darüber hinaus sieht die Ausbildung an Berufskollegen vor, die SchülerInnen auf die Berufswelt in Europa vorzubereiten. Über die berufsspezifische Situation hinausgehend, stimme ich zudem mit Aigner überein, dass grundsätzlich für alle SchülerInnen an Beruflichen Schulen die Notwendigkeit herrscht, diese für interkulturelle Begegnungen und daraus resultierendes Missverstehen zu sensibilisieren: "Generell muss gesagt werden, dass die Globalisierung so schnell voranschreitet, dass es schlichtweg unerlässlich ist, die Schüler[Innen] an Beruflichen Schulen interkulturell vorzubereiten." ( Aigner : 118).
Aus diesen Gründen führte ich im Herbst 2004 eine Unterrichtsreihe zum Thema Betrachtung und Auseinandersetzung mit fiktionalen Texten unter dem Aspekt von Interkulturalität in meinem bedarfsdeckenden Unterricht in der Klasse E FHR 12 durch. Die SchülerInnen betrachteten die Texte weitgehend analytisch unter verschiedenen Schwerpunkten, lediglich ansatzweise flossen produktions- und handlungsorientierte Verfahren in die Bearbeitung ein. Die Reihe zeigte mir, dass die SchülerInnen durch die Textauswahl motiviert waren und die literarischen Vorlagen genügend Inhalt zur Analyse von interkulturellen Konflikten boten. Auf der anderen Seite erschloss sich mir aus den Ergebnissen der Klausur, dass die SchülerInnen in der Lage waren, Textanalysen vorzunehmen, jedoch nicht befriedigend befähigt waren, aus den Texten Rückschlüsse für eigenes Handeln in interkulturellen Konfliktsituationen abzuleiten. Eine Klausuraufgabe bestand darin, eine der literarischen Vorlage ähnliche Situation zu entwerfen, die sich auf ihr angestrebtes Berufsfeld (Kindergarten, Heim, Hort, etc.) bezieht. Diese Situation sollte auf Gefahren und Chancen des in der Literatur dargestellten multikulturellen Konflikts hin beschrieben werden und ein Handlungskonzept skizziert werden. Der Schritt vom Text zur Darstellung einer antizipierten beruflichen Situation bereitete den SchülerInnen erhebliche Schwierigkeiten. Ich muss davon ausgehen, dass ein analytisches Verfahren alleine nicht ausreicht, um interkulturelles Lernen zu ermöglichen.
Daher stelle ich mir folgende Frage: Kann eine verstärkte Auseinandersetzung mit literarischen Texten, die nicht nur analytisch ist, die Förderung interkultureller Kompetenz positiv beeinflussen? Können produktions- und handlungsorientierte Verfahren dabei unterstützend wirken? Ausgehend von dieser Fragestellung soll diese Arbeit einen Vorschlag entwickeln, inwieweit ausgewählte Texte unter Verwendung von produktions- und handlungsorientierten Verfahren, interkulturelle Kompetenz fördern können.
Nach einem Erklärungsansatz, was interkulturelle Kompetenz beinhaltet, werde ich zunächst einen kurzen Blick auf die spätere pädagogische Praxis richten, um ermitteln zu können, welche beruflichen Situationen interkulturelle Kompetenz speziell bei Erziehern erfordert. Den Blick von der Praxis auf die Schule zurückwendend, werde ich skizzieren, welchen Beitrag das Fach Deutsch hierfür zu leisten vermag. Im Anschluss daran werde ich besondere Lernbedingungen im Klassenzimmer aufgreifen, die gewinnbringend zur Förderung dieser Kompetenz eingebunden werden können.
Anschließend folgt ein Umriss einiger in der Unterrichtsreihe bearbeiteter fiktionaler Texte. Anhand derer werde ich im fünften Teil der Arbeit einen Vorschlag entwickeln, wie diese Texte unter Verwendung von produktions- und handlungsorientierten Verfahren eine Förderung der interkulturellen Kompetenz unterstützen können. Abschließend wird dieses Konzept in seinen Möglichkeiten und Grenzen betrachtet werden.